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Am 29. Januar besuchte im Rahmen eines Martinees mit Ruth Weiss eine Zeitzeugin das Zentrum für verfolgte Künste. Sylvia Löhrmann hatte in ihrer Funktion als Vorsitzende des Förderkreises des Zentrums Weiss eingeladen. Bürgermeister Thilo Schnor durfte Frau Weiss für Solingen herzlich willkommen heißen. In Form eines Interviews zwischen beiden Frauen sprach die heute 98-jährige Weiss sodann vor rund 160 interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern über ihr bewegtes Leben und als Jüdin zu Zeiten des Nationalsozialismus. Zwei Tage zuvor war sie anlässlich des Holocaust Gedenktages Ehrengastrednerin im Landtag NRW. Ruth Weis musste Deutschland 1936 verlassen und landete mit ihrer Familie in Südafrika. Dort erlebte sie ein Apartheidsregime, gegen das sie sich später engagierte. Sie lernte in ihrem Kampf viele Freiheitskämpferinnen und –kämpfer, u.a. Nelson Mandela, kennen.
Ruth Weiss ist eine bemerkenswerte Person. Als Jüdin hatten sie und ihre Familie keine Chance in Europa. Wie so viele begab sich die Familie aus der Not heraus auf die Flucht. Ihr Vater war schon dort, als sie mit ihren engsten Verwandten, mit Mutter und Schwester 1936 in Südafrika anlandeten. Auf dem Weg dorthin nahm ihr Schiff entlang der afrikanischen Küste für einige wenige Stationen afrikanische Familien mit. Mit deren Kinder konnte sie spielen und lernte später, dass sich dies für ein weißes Kind eigentlich nicht gehört. Ein Rollenwechsel, wie sich Ruth Weiss erinnerte. Weiss wird später Wirtschaftsjournalistin und Romanautorin. Ihr Buch „Meine Schwester Sara“ wurde sogar zur Deutschlektüre in einigen Schulen. Sie durchlief viele Stationen in ihrem Leben. Sie lebte u.a. in Simbabwe, England und Deutschland. Sie erhielt zahlreiche Ehrungen, ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse und Ehrenpräsidentin des PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. Erst letztes Jahr bekam sie vom PEN den OVID-Preis verliehen.
Weiss ist in Fürth bei Nürnberg geboren, war acht Jahre alt, als die Nazis an die Macht kamen. Von einem auf den anderen Tag veränderte sich ihre Situation. Sie wurde gemieden, im Unterricht nicht mehr aufgerufen und ihre hübsche Schwester wurde mit Dreck beschmissen, wie sie sich erinnert. Ihr Vater verlor bereits früh im Jahr 1933, wie so viele Angestellte und Beamte aufgrund der rassistischen Gesetzgebung, seine Stellung in der Spielzeugbranche. Denn mit dem 30. Januar 1933, dem Tag der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzlers und dem damit verbundenen Ende der Weimarer Demokratie, ging alles ganz schnell. So hatten bereits im Frühjahr die Hälfte aller jüdischen Richter und Staatsanwälte ihre Arbeit verloren, war ein Drittel der jüdischen Angestellten arbeitslos und verließen gut 37.000 Juden im ersten Jahr der NS-Herrschaft Deutschland. Wie Ruth Weiss erst nach Kriegsende erfahren hatte, sind ihr Onkel väterlicherseits und Verwandte ihrer Mutter den Gräueltaten der Nazis zum Opfer gefallen. Für sie ist es in ihrem Einsatz gegen Antisemitismus und Rassismus auch in ihren Romanen wichtig, über das jüdische Leben in Europa über die Jahrhunderte aufzuklären. Und auf die Frage von Frau Löhrmann, was sie uns denn als Zeitzeugin noch mitgeben möchte, regte sie an, dass doch an den Schulen mehr Debatten und mehr Austausch stattfinden solle. Denn man habe ihr gesagt, daran fehle es.
Mit Ruth Weiss sprach eine beeindruckende Persönlichkeit im Zentrum für verfolgte Künste. Sie wurde begleitet von Mitgliedern der Ruth Weiss Gesellschaft. Die Veranstaltung endete mit einem Zitat, was Silvia Löhrmann von Weiss aus dem Buch „Meine Schwester Sara“ noch erinnerte: Die Vergangenheit hat eine lange Zukunft. In diesem Sinne im Einsatz für unsere Demokratie, so der Verweis von Bürgermeister Schnor in seinem Grußwort, dürfen wir nicht ruhen an die Vergangenheit zu mahnen und müssen uns zugleich an unsere verfassungsrechtlichen Normen erinnern. Denn es steht viel auf dem Spiel. Nach dem Eintrag in das Gästebuch der Stadt Solingen stellte sich die fast 100 Jahre alte Ruth Weiss noch den Gesprächen mit den Gästen zur Verfügung.